19/11/2024 0 Kommentare
Hasse mal nen Euro?
Hasse mal nen Euro?
# Gottesdienste
![Blog image](https://edge.churchdesk.com/blog-168203/span7_16-9/public/o/6013/unterfuhrung.jpg?c=127c4d258e)
Hasse mal nen Euro?
Liebe Gemeinde,
am St.-Martins-Tag sind viele Kinder wie jedes Jahr durch die Straßen gezogen und haben Lieder gesungen. Die Laternen leuchteten hell, es gab Stutenkerle, Martinsbrezeln, der Posaunenchor spielte feierlich auf und sogar ein Pony war dabei, auf dem der Soldat Martin ritt. Eine tolle Stimmung, eine wunderbare Atmosphäre. Wir alle kennen das Lied, das dazu gesungen wird. „Im Schnee saß, im Schnee saß, im Schnee, da saß ein armer Mann, hat Kleider nicht, hat Lumpen an. Sankt Martin mit dem Schwerte teilt den warmen Mantel unverweilt.“
Alle waren dabei, als er seinen Mantel teilte und dem armen Mann den halben Mantel schenkte, alle Eltern waren sich einig, dass es wichtig ist, den Kindern das Teilen beizubringen, alle waren glücklich und zufrieden, als sie nach Hause gingen, in ihr warmes zu Hause.
- Szenenwechsel.-
Ich laufe durch Dortmund, zurück auf dem Weg zum Parkhaus am Friedensplatz. Die Fußgängerzone ist recht voll, alle kaufen schon für den ersten Advent und für Weihnachten ein, so scheint es. Aus den Läden schallt schon zum ersten Mal „Last Christmas“, der Weihnachtsmarkt wird aufgebaut.
Und mitten drin, eine Bettlerin. Dreckige Finger, die einen Kaffeebecher halten, den sie den Passanten entgegenstreckt. In der Hoffnung, sie geben ein paar Cent. Ein Hund liegt neben ihr auf der Decke. Ihr einziger Freund?
Unbewusst habe ich der Frau ins Gesicht geschaut und sofort spricht sie mich an und streckt mir den Becher entgegen. „Hasse mal einen Euro?“ fragt mich die Bettlerin.
Und dann spielt sich folgendes Szenario in meinem Kopf ab: In mir drin zwei Stimmen, die miteinander diskutieren.
Wir alle kennen diese Diskussionen. Ich denke, viele von uns führen sie auch mit sich selbst, oder mit anderen. Hört mal hin, ob ihr die zwei Stimmen wiedererkennt.
Engel: Klar hab ich einen Euro. Die arme Frau sitzt hier in der Kälte..
Teufel: In Deutschland muss keiner obdachlos sein! Es gibt genügend Organisationen, die helfen. Die Duschen anbieten, die eine Schlafstätte bieten, die Hilfe bei Behördengängen geben.
E: Ein Euro- ist ja nun wirklich nicht viel Geld.
T: Ein Euro ist vielleicht nicht viel. Aber es ist auch Geld. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Für den Euro hast du gearbeitet- und sie kriegt ihn geschenkt.
E: Aber es ist doch nur Euro, der tut mir nicht weh.
T: Es bleibt ja nicht bei einem Euro. Du hast doch vorhin schon gesehen: Hier sitzen an allen Ecken die Bettler! Wenn du jedem einen Euro gibst, bist du ruck zuck 15 Euro los, und geholfen hast du trotzdem nicht. Das ist das Gießkannenprinzip.
E: Aber wenn ihr jeder einen Euro gibt, kann sie sich vielleicht eine warme Mahlzeit kaufen!
T: Quatsch, warme Mahlzeit. Die kauft sich eh nur Alkohol oder Kippen. Du befeuerst ihre Sucht, du unterstützt das auch noch.
E: Vielleicht kann ich ihr stattdessen ein Brötchen kaufen, dann kann sie das Geld nicht für Alkohol ausgeben.
T.: Pffff. Brötchen. Wahrscheinlich kommt heute Abend ihr Mann mit dem dicken Mercedes und sammelt sie und ihre bettelnden Kinder ein. Die machen damit ein Vermögen! Prellen den Sozialstaat und werden reich.
E: Aber… aber… (verzweifelt, suchend)
Die Diskussion in mir wird unterbrochen, denn plötzlich steht ein junger Mann vor mir.
Er blickt mich ernst an. Mir wird ganz seltsam in mir drin. Ganz warm. Er bringt die Stimmen in mir zum Schweigen. Der Stadtlärm um mich herum verstummt. Alles ist still, ich höre nur noch den Schlag meines eigenen Herzens.
Dann beginnt er zu sprechen:
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan.
Dann lächelt er mir zu und legt der Bettlerin kurz die Hände segnend auf. Und schon ist er in der Menschenmenge verschwunden.
„Hasse mal nen Euro?“
Und jetzt sind da keine zwei Stimmen mehr in mir. Diesmal höre ich nur die Stimme meines Bruders, meines Herrn, in mir nachhallen und ich lächele der Bettlerin zu.
(von Katharina Döring)
Kommentare